International, interdisziplinär, intensivMit „Doctoral Networks“ in die Forschungskarriere starten
4. Juni 2025, von Anna Priebe

Foto: UHH/von Wieding
In den von der Europäischen Union geförderten „Doctoral Networks“ forschen Early Career Researcher in einem Verbund aus Hochschulen – und lernen dabei von Expertinnen und Experten aus ganz Europa. An der Uni Hamburg wurden bisher fünf dieser Netzwerke koordiniert. Zum Start der neuen Ausschreibungsrunde berichten zwei Teilnehmer und zwei Koordinatorinnen von ihren Erfahrungen.
Vier Erfahrungsberichte aus UHH-koordinierten „Doctoral Networks“
„Für mich geht es darum, die internationale Forschungscommunity zusammenzubringen“
Prof. Dr. Celine Hadziioannou

Professorin für Seismologie und Koordinatorin des Trainingsnetzwerks „SPIN-ITN: Seismologische Parameter und Instrumentierung“ an der Universität Hamburg
Mein erster Kontakt mit einem Doctoral Network (DN) bzw. einem International Training Network (ITN) – wie sie im Förderprogramm „Horizon 2020“ genannt wurden – war als Nachwuchswissenschaftlerin: 2011 war ich Postdoktorandin im ITN „QUEST“, das sich auf die Methodenentwicklung in der Seismologie konzentrierte.
Ich war im ITN „QUEST“ die Vertreterin der geförderten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wodurch ich die Gelegenheit hatte, an den Managementbesprechungen teilzunehmen, und konnte so lernen, wie diese Konsortien funktionieren. Darüber hinaus war die Arbeit bei „QUEST“ sehr inklusiv: In der Praxis war ein großer Teil der seismologischen Gemeinschaft in Europa und darüber hinaus Teil des Netzwerks.
Dieser offene Geist ist etwas, das ich mir für das ITN, das ich derzeit koordiniere, zu Herzen genommen habe. Die Planung für „SPIN“ begann 2017, als ich als Juniorprofessorin an die UHH kam. Mit der Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen, die Erfahrung in der Koordination solcher Netzwerke und im Schreiben der entsprechenden Anträge hatten, konnte ich die Finanzierung für „SPIN“ einwerben.
Für mich steht außer Frage, dass ITNs ein hervorragendes Sprungbrett für eine akademische Karriere sind: Unter den Early Career Researchern, die ich in diesen Projekten getroffen habe, haben mehr als die Hälfte inzwischen feste wissenschaftliche Positionen oder Professuren, und viele andere verfolgen erfolgreiche Karrieren in der Industrie.
Für mich geht es darum, die internationale Forschungscommunity zusammenzubringen – auch über die spezifischen Gruppen, die durch das Projekt gefördert werden, hinaus. Konkret bedeutet das für „SPIN“, dass wir etwa ein Dutzend zusätzliche Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler „adoptiert“ haben, die nicht direkt durch das Projekt gefördert wurden, aber von der in „SPIN“ angebotenen Ausbildung profitierten. Sie alle wurden Teil unserer „wissenschaftlichen Familie“. Die Erfahrung zeigt, dass das zu einer Art „Multiplikatoreffekt“ führt: Es inspiriert Menschen, sich mit den wissenschaftlichen Themen des Netzwerks zu beschäftigen, und schafft lebendige Kooperationen.
Da „SPIN“ während der Pandemie begann, mussten wir eine Menge improvisieren, zum Beispiel, als zwei Wochen vor unserem ersten Präsenz-Workshop ein Lockdown angekündigt wurde. Wir mussten das Format schnell anpassen, um es online durchzuführen. Im Laufe des Projekts habe ich zudem versucht, die Inhalte und Angebote an die unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Early Career Researcher anzupassen. Dies ist etwas, das ich in zukünftigen Doctoral Networks noch weiter verbessern möchte.
„SPIN“ war das erste ITN, das ich koordiniert habe, aber ich hoffe, es wird nicht das letzte sein! Obwohl es viel Arbeit ist, war die Erfahrung unglaublich bereichernd. Zu sehen, wie die Promovierenden von „SPIN“ in den vergangenen vier Jahren auch persönlich gewachsen sind, war großartig. Zudem tragen solche Netzwerke natürlich auch dazu bei, das internationale Profil der UHH zu stärken.
„SPIN“ wird im August dieses Jahres enden – und tatsächlich arbeite ich derzeit an dem Antrag für mein nächstes DN. Ein Teil des „SPIN“-Konsortiums hat sich im April mit einigen neuen Partnereinrichtungen zu einem „Antrags-Retreat“ getroffen, um das wissenschaftliche Konzept für das Projekt zu entwickeln. Ich bin begeistert davon, was wir erarbeitet haben, und freue mich darauf, ein weiteres interdisziplinäres, internationales Projekt zu diesem Thema zu leiten.
„Ein internationales Graduiertenkolleg ist anspruchsvoll und zeitintensiv, aber man bekommt viel zurück“
Dr. Sebastian Neumann-Böhme

Promotion im ITN „Improving Quality of Care in Europe“ (IQCE), das von 2017–2021 am Hamburg Center for Health Economics (HCHE) koordiniert wurde
Nach meinem Master in Business Administration, den ich in Hamburg und London absolviert habe, bin ich als Unternehmensberater im Gesundheitswesen in die Berufspraxis gestartet – und ohne IQCE wäre ich dort wahrscheinlich immer noch. Aber dann kam 2016 eine E-Mail vom HCHE, die über das neu eingeworbene Graduiertenkolleg IQCE informierte: sechs europäische Universitäten und ein Praxispartner, 15 Promovierende und das Ziel, Lösungsansätze für mehr Qualität und Leistungsfähigkeit der europäischen Gesundheitssysteme zu entwickeln. Das Angebot hat mich begeistert und so bin ich bereits nach einem Jahr zurück an die Universität gegangen.
Durch die internationale Ausrichtung der Ausbildung konnte ich bereits kurz nach dem Start 2017 die anderen Partneruniversitäten kennenlernen. Dabei brachte jede Einrichtung besondere Expertise ein, sodass beispielsweise Kurse in Portugal, den Niederlanden, Italien, Deutschland, Dänemark und Großbritannien stattfanden. Die Inhalte waren dabei immer auf uns Teilnehmende zugeschnitten, etwa zum Thema Experimental Design. Bereits bei der Wahl des Promotionsortes war viel Wert auf Internationalität gelegt worden: Man durfte sich nur für ein Promotionsprojekt in einem Land bewerben, in dem man vorher nicht länger gelebt hat. So fiel meine Wahl auf die Erasmus Universität Rotterdam in den Niederlanden.
Mit Beginn der Pandemie 2020 endeten leider die Reisen und der persönliche Austausch vor Ort – und mein Homeoffice verlagerte sich nach Hamburg. In meiner Forschung hatte ich mich ursprünglich mit Referenzpunkten beschäftigen wollen – also damit, an wem oder was wir uns bei Gesundheitsentscheidungen orientieren. Nach Beginn der Pandemie startete ich mit anderen Wissenschaftler:innen aus IQCE eine Befragung zu den Einstellungen der Menschen in Europa zu COVID-19 und den damit verbundenen Risiken und Präventionsmaßnahmen. Mithilfe des Netzwerks wurden in der „European Covid Survey“ in elf Befragungswellen jeweils mehr als 7.000 Menschen in mehreren europäischen Ländern befragt. Die Entwicklung und Programmierung der Fragen, die Koordination des Projekts, die Auswertung der Ergebnisse und letztlich die Publikationen wurden damit ein wichtiger Teil meiner Promotion.
Doch auch ohne die bei mir besonderen Bedingungen einer Pandemie ist ein internationales Graduiertenkolleg anspruchsvoll und zeitintensiv. Man muss bereit sein, sich auf ein anderes Land, die dortigen Promotionsbedingungen und eine Menge zusätzliche Organisation einzulassen. Zudem ist man mit vielen Reisen und der Zusammenarbeit mit verschiedenen Kulturen und Arbeitsumgebungen konfrontiert. Dafür bekommt man sehr viel zurück: Eine fundierte und sehr umfassende Ausbildung, großartige Einblicke in europäische Spitzenforschung und ein internationales Netzwerk, von dem ich heute noch profitiere.
Und mir persönlich hat das ITN nicht nur gezeigt, dass ich auch weiterhin in der Wissenschaft arbeiten möchte, sondern es hat mir auch gleich eine Anschlussmöglichkeit vermittelt: Seit dem Ende meiner Promotion arbeite ich als Postdoc am HCHE.
„Es gilt, immer wieder die Balance von Fördern und Fordern zu finden“
Prof. Dr. Gertraud Koch

Professorin für Empirische Kulturwissenschaft und Koordinatorin von „Particpatory Memory Practice. Concepts, strategies and media infrastructures for envisioning socially inclusive potential futures of European Societies through culture“ (POEM, 2018–2022)
Das Besondere an den Doctoral Networks ist zum einen der Mix aus der intensiven internationalen Zusammenarbeit zwischen Forschung – universitär und außeruniversitär – und der Praxis. Zum anderen gibt es einen starken Fokus auf der Orientierung an der gesellschaftlichen Wirksamkeit der wissenschaftlichen Arbeit. Das erklärte Ziel ist es, in Europa konkrete Veränderungen zu initiieren. Man könnte auch sagen: Grundlagenforschung ohne Elfenbeinturm. Im Projekt „POEM“ ging es beispielsweise darum, Konzepte für die pluralistische Teilhabe im Kulturbereich zu entwickeln und auszuloten, insbesondere unter Berücksichtigung der Frage, wo und wie die ohnehin stattfindende Digitalisierung produktiv genutzt werden kann.
Als Koordinatorin habe ich sowohl inhaltlich als auch organisatorisch die Gesamtverantwortung für das Projekt getragen. Mit den anderen sieben Betreuenden habe ich mich bereits vor der Beantragung des Projektes intensiv ausgetauscht und auf das Programm verständigt. Unsere Hauptaufgabe war es, dass alle „Early Stage Researcher“, so das Wording in der EU, im Rahmen des ITN ein berufliches Profil und eine Zukunftsperspektive entwickeln können. Da gilt es, immer wieder die Balance von Fördern und Fordern, von individuellen und gemeinschaftlichen Entwicklungen zu finden. Die große Vielfalt an verschiedenen Menschen, Themen und Anforderungen in gute Verbindungen zu bringen, kann – neben den vielen formalen Aspekten, die in solchen Projekten zwingend eingehalten werden müssen – eine Herausforderung sein.
Uns ist das in „POEM“ sehr gut gelungen, weil alle Beteiligten mit unglaublich hohem Engagement mitgewirkt haben. Aber das hohe Niveau der Arbeit und die schnelle zeitliche Taktung der Qualifizierung sind sehr fordernd und wurden auch ambivalent erlebt. Das Feedback der Promovierenden bestätigt das. Die intensive, strukturierte Betreuung in Kombination mit einem umfangreichen, thematisch und individuell zugeschnittenen Qualifizierungsprogramm ermöglicht ein sehr konzentriertes, fokussiertes Promovieren und eine frühe Profilierung als Wissenschaftler:in. Hinzu kommen der ständige Austausch mit einer starken Peergroup und die enge Zusammenarbeit mit Praxisfeldern: An „POEM“ waren insgesamt 15 Partnerorganisationen in Europa, den USA und Afrika beteiligt. Das ITN ist eine einzigartige Gelegenheit, sich in einem internationalen Forschungsumfeld zu orientieren und den eigenen Berufsweg zu planen.
Einige unserer Doktorandinnen und Doktoranden sind direkt auf Anschlussstellen an den beteiligten Institutionen gewechselt, haben die im Projekt entwickelten Konzepte umgesetzt oder auch neue Forschungsanträge mit erarbeitet. Ich freue mich immer, sie zu treffen und zu sehen, dass sie als hochqualifizierte, hervorragend fokussierte und mit einem breiten Spektrum an übergreifenden Kompetenzen ausgebildete Nachwuchskräfte Wissenschaft und Forschung bereichern.
„Es ist großartig, wie schnell die Wissenschaft vorankommt, wenn es ein Netzwerk gibt, das sich dafür einsetzt“
Marco Dominguez Bureos

Doktorand im ITN „SPIN-ITN: Seismologische Parameter und Instrumentierung“, das seit 2021 an der Universität Hamburg koordiniert wird
Als ich begann, für meine geplante Dissertation weltweit nach Promotionsprogrammen und Fördermöglichkeiten zu suchen, bin ich auf die ITNs gestoßen und fand die Option direkt sehr vielversprechend.
Ich habe meinen Master in Geowissenschaften mit dem Schwerpunkt Seismologie am Ensenada Center for Scientific Research and Higher Education in meinem Heimatland Mexiko gemacht – und es ist spannend, für meine Promotion nach Hamburg zu kommen. Gleichzeitig konnte ich verschiedene Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt kennenlernen: Im Rahmen des ITNs habe ich für Trainingskurse Frankreich, Schottland und die Schweiz besucht. Zudem war ich in Österreich, Belgien und Tschechien, um meine Forschung zu präsentieren.
Meine Arbeit konzentriert sich auf die Nutzung von Vibrationen, um kleine Mängel im Beton von Gebäuden oder Brücken zu erkennen. Ziel ist es, großflächige Risse und strukturelle Ausfälle zu verhindern. Das passt ausgezeichnet zu „SPIN“, wo es um das seismische Wellenfeld geht sowie um die Veränderungen, die in verschiedenen Materialien entstehen, wenn die Wellen hindurchgehen.
Einer der großen Vorteile von „SPIN“ ist die Möglichkeit, mit erfahrenen Forschenden aus verschiedenen Bereichen zu kooperieren, die mitunter eine andere Perspektive auf meine Ergebnisse und das Thema im Allgemeinen haben. Dieser Austausch fördert das wissenschaftliche Hinterfragen, was wiederum zur Entwicklung noch besserer Forschungsmethoden führt und das kritische Denken fördert.
Ein wichtiger Vorteil gegenüber anderen Promotionsprogrammen ist, dass man in dem Moment, in dem das ITN startet, Teil eines internationalen Forschungsnetzwerks ist. Mein Projekt ist stark interdisziplinär ausgerichtet und ich arbeite unter anderem mit Fachleuten im Bereich der zerstörungsfreien Materialprüfung aus Berlin sowie Expertinnen und Experten für Wellenausbreitung in komplexen Materialkompositionen in Potsdam zusammen. Zugang zu sowie die Ausbildung mit diesen modernen Technologien sind ein weiteres Argument für das Netzwerk. Ich konnte sowohl theoretische und technische Fähigkeiten als auch soziale Kompetenzen weiterentwickeln, die nicht nur in einem akademischen Kontext, sondern auch in der Industrie und beim Austausch über meine Erkenntnisse von Nutzen sind.
Das Training und der Input, den alle am ITN beteiligten Betreuerinnen und Betreuer in meine Forschung eingebracht haben, hatten einen tiefgreifenden Einfluss auf meine Promotion. Das gilt auch für das, was ich als „wissenschaftliche Freundschaften“ bezeichnen würde, die ich mit den anderen geförderten Early Career Researchern und darüber hinaus aufgebaut habe. Es ist großartig, wie schnell die Wissenschaft vorankommt, wenn es ein Netzwerk gibt, das sich dafür einsetzt. Und wie dieses Tempo dazu führen kann, Verbindungen zwischen der Wissenschaft und der praktischen Anwendung zu schaffen, um Probleme von hoher sozialer Relevanz zu lösen.
Aktuelle Ausschreibungsrunde für Doctoral Networks
Die Doctoral Networks sind Teil der sogenannten „Marie Skłodowska-Curie Actions“ der Europäischen Union. Sie werden für bis zu vier Jahre gefördert und fokussieren sich vor allem auf die interdisziplinäre und internationale Ausbildung der Doktorandinnen und Doktoranden. Das Netzwerk bilden dabei mehrere europäische Hochschulen, externe Einrichtungen sowie Unternehmen und Organisationen aus der Wirtschaft, wobei in der Regel eine Universität die Koordination übernimmt. Gemeinsam ermöglichen die teilnehmenden Einrichtungen Forschung im Rahmen der Promotionen und stellen ein begleitendes Trainingsprogramm zusammen. Durch das breite Angebot sollen die Karriereaussichten der Early Career Researcher umfassend gefördert werden. Die aktuelle Ausschreibungsrunde läuft noch bis zum 25. November. Das Team der EU-Forschungsförderung berät bei der Antragsstellung.